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Tipps und Hintergründe zum Umgang mit extrem rechten Feindeslisten

Informationsmaterial Aktuelles Ratgeber für Betroffene Feindeslisten

Noch immer weigern sich die Ermittlungsbehörden – der Generalbundesanwalt, das Bundeskriminalamt und die Mehrheit der 16 Landeskriminalämter – die Betroffenen extrem rechter Feindeslisten darüber zu informieren, wenn ihre Wohnanschriften, andere persönliche Daten, Fotos oder Informationen in Datensammlungen von Neonazis und/oder organisierten Rassist*innen aufgefunden wurden. Das ist umso unverständlicher, weil damit einzig und allein die Betroffenen ohne Informationen dastehen, während organisierte Neonazis und rassistisch motivierte Gewalttäter*innen durch drei Mausklicks auf umfassende Adresssammlungen zugreifen können – ohne dass es den Bedrohten möglich ist, anhand des von den Ermittlungsbehörden bei Durchsuchungen beschlagnahmten Datenmaterials und anderer Informationen selbst zu Einschätzungen zu kommen und sich individuell adäquat zu schützen.

Der nachfolgende Text gibt daher einen kurzen Überblick über einige Handlungsmöglichkeiten und das Ausmaß extrem rechter Feindes- oder Todeslisten:

Die so genannte 25.000er-Liste und andere Feindeslisten

Die bislang umfassendste und bekannte so genannte Feindes-Liste stammt aus einem Hack des Duisburger Punk-Versandhandels IMPACT aus dem Jahr 2015. Sie umfasst die persönlichen Daten von etwa 25.000 Personen, darunter sind neben E-Mail Adressen, auch Telefonnummern und Wohnanschriften. Das Ermittlungsverfahren gegen die mutmaßlichen Verantwortlichen für den Hack der so genannten „National Sozialistische Hackercrew“ aus dem Umfeld der JN Brandenburg wurde 2016 eingestellt. Die Datensammlung wurde dann im Juli 2017 von dem baden-württembergischen AfD-Landtagsabgeordneten Heiner Merz als „Antifa-Mitglieder-Liste“ erneut verbreitet. Die Strafverfolgungsbehörden haben diese Datensammlung u.a. im Jahr 2017 bei Durchsuchungen gegen mutmaßliche Mitglieder und Zeugen im Ermittlungsverfahren der Generalbundesanwaltschaft gegen das Nordkreuz-Netzwerk sowie in 2018 bei mutmaßlichen Mitgliedern der „Gruppe Revolution Chemnitz“ gefunden. Da die Ergebnisse des Hacks auf einem Server außerhalb der EU abgelegt ist, ist diese Datensammlung noch immer leicht auffindbar. Schon unmittelbar nach der Veröffentlichung des Hacks hatten Neonazis u.a. in Niedersachsen begonnen, Betroffene aus ihrer Umgebung anhand der Adressdaten öffentlich zu bedrohen und auch konkrete Angriffe angekündigt.

Wie erfahre ich, ob meine Daten von Neonazis in Feindes- oder Todeslisten gesammelt worden sind?

Wer wissen will, ob er oder sie auf einer der Feindes-Listen steht, die aus den großen Daten-Hacks wie beispielsweise dem Datendiebstahl beim IMPACT-Mailorderversand generiert wurde(n), kann das teilweise selbst nachprüfen. Das Hasso-Plattner-Institut Digital Engineering der Universität Potsdam bietet dafür ein kostenfreies Tool. Der HPI Identity Leak Checker vergleicht die eigene E-Mail-Adresse mit den Inhalten großer Hacks und Datendiebstähle, darunter auch den durch die „National Sozialistische Hacker-Crew“ begangenen Datendiebstahl beim IMPACT Mailordner-Versand im Frühjahr 2015.

Allerdings: Die Ermittlungsbehörden sind beispielsweise bei Durchsuchungen im Zusammenhang u.a. mit dem Nordkreuz-Netzwerk auch auf Datensammlungen mit persönlichen Adressen von so genannten politischen Gegner*innen – darunter Kommunalpolitiker*innen von Freien Wählerinitiativen, Linken und Grünen aus dem Norden von Mecklenburg-Vorpommern gestoßen, die durch Zugriffe auf Polizeidatenbanken zusammengestellt wurden – und dann durch Beobachtungen und Ausforschungen vor Ort ergänzt worden waren. Auch in Hessen besteht der Verdacht, dass die Adresse der Frankfurter Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz sowie geschützte Daten ihrer Familienangehörigen durch den Zugriff auf Polizeidatenbanken von einer Gruppe „NSU2.0“ zu neonazistischen Bedrohungen benutzt werden konnten.
Wenn beispielsweise ohnehin schon eine Auskunftssperre für die eigene Meldeadresse besteht und diese Adresse dann in Neonazi-Feindlisten auftaucht oder Drohschreiben und Bedrohungen eingehen, ist die Vermutung naheliegend, dass Mitarbeiter*innen von Behörden, die Zugriff auf besonders schützenswerte persönliche Informationen haben – wie etwa Angestellte und Mitarbeiter*innen von Polizei- und Justiz, Meldebehörden, Finanzämtern oder Krankenkassen – die Daten unrechtmäßig an Dritte weitergegeben haben. In den 2000er Jahren hatte die Neonazi-Kameradschaft Süd in München beispielsweise Feindeslisten mit umfangreichen Datensammlungen von so genannten politischen Gegner*innen anlegen können, weil eine der Neonaziaktivist*innen bei der Deutschen Post arbeitete.

Wo finde ich Unterstützung?

Grundsätzlich ist es sinnvoll, sich an die nächstgelegene Beratungsstelle für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt zu wenden und dort in einem vertraulichen Beratungsgespräch über die eigenen Befürchtungen und die nächsten Schritte zu sprechen. Besteht beispielsweise der Verdacht, dass Mitarbeiter*innen staatlicher Behörden persönliche Daten weitergegeben haben, ist es sinnvoll Strafanzeige und Strafantrag gegen Unbekannt zu stellen und durch engagierte und qualifizierte Rechtsanwält*innen im Ermittlungsverfahren vertreten zu werden.

Es ist in jedem Fall sinnvoll, sich an eine der spezialisierten Opferberatungsstellen zu wenden, um sich ggfs. auch mit anderen Betroffenen zusammenzuschließen, auszutauschen und zu vernetzen und politische Forderungen zu stellen. Außerdem kann die Frage der Kosten für eine anwaltliche Vertretung auf diesem Weg solidarisch besprochen und nach gemeinsamen Lösungen gesucht werden.

Das BKA und einige Landeskriminalämter, darunter Hamburg und Rheinland-Pfalz, haben mittlerweile eigene Hotlines geschaltet, an die sich Menschen wenden können, die befürchten, dass ihre Daten von Neonazis/organisierten Rassist*innen in Feindeslisten gesammelt wurden. Andere Landeskriminalämter etwa in Hessen und Thüringen haben angekündigt, Betroffene schriftlich zu informieren.

Müssen die Ermittlungsbehörden mich informieren?

Der Journalist und Aktivist Jean Peters gehört zu denjenigen, die von Neonazis massiv und öffentlich bedroht wird. Er hatte durch eine Klage nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) vor dem Verwaltungsgericht Wiesbaden versucht, das BKA dazu verpflichten zu lassen, ihn über die bei Neonazis aufgefundenen Informationen zu seiner Person zu informieren. Das Verwaltungsgericht lehnte die Klage Anfang August 2019 ab und verwies darauf, dass der Generalbundesanwalt für die Ermittlungen zum Nordkreuz-Netzwerk zuständig und daher alleine befugt sei, über die Herausgabe der Informationen zu entscheiden. Im Fall der Lokalpolitiker*innen, deren persönliche Informationen durch das Nordkreuz-Netzwerk gesammelt worden waren, hatten das BKA und das LKA Mecklenburg-Vorpommern zwei Jahre lang über die Feindeslisten verfügt, ohne die Betroffenen zu informieren – die diese Verschleierungstaktik der Ermittlungsbehörden massiv kritisieren und eine Offenlegung aller dort vorhandenen Informationen fordern. Schließlich ist nach dem Mord an Walter Lübcke noch einmal deutlich geworden, dass Mord und Totschlag gegen so genannte politische Gegner*innen und entsprechende Aufrufe zur verbreiteten Praxis einer hochbewaffneten Bewegung von bewaffneten Neonazis und organisierten Rassist*innen gehören.

Darüber, ob es rechtlich zulässig ist, den Betroffenen die vorhandenen Informationen zu verweigern, wird weiter gestritten. Politisch ist es jedoch völlig klar, dass die Betroffenen informiert werden müssen, damit sie auf etwaige Bedrohungen vorbereitet sind und reagieren können.

Wie groß ist die Gefährdung, wenn Neonazis über Informationen zur eigenen Person verfügen?

Verallgemeinerungen zur Bedrohungslage von denjenigen, deren Daten auf Neonazi-Feindeslisten gefunden wurden, sind überhaupt nicht hilfreich und nützen der*dem Einzelnen gar nichts. Wichtig ist es, die eigenen Ängste und Befürchtungen nicht für sich zu behalten, sondern mit Familienangehörigen und Freund*innen zu besprechen und dann externen Rat hinzuziehen.

Grundsätzlich gilt: Die Gefährdung steigt, wenn es vor Ort aktive Neonazi-Gruppen gibt, die ggfs. auch regional oder überregional vernetzt sind. Im übrigen nehmen auch die Polizeibehörden die Gefahren für die Betroffenen derartiger Feindeslisten so ernst, dass das BKA im Rahmen des im August 2019 vorgestellten Konzepts zur Bekämpfung des Rechtsextremismus von der Politik fordert, einen neuen Straftatbestand einzuführen, der das Anlegen von Feindes- oder Todeslisten unter Strafe stellt.

Denn dass eine reale Gefahr besteht, sobald Mensch im Fadenkreuz von Neonazis und/oder der extremen Rechten steht, lässt sich anhand von einigen Beispielen leicht nachvollziehen: In Berlin haben Neonazis seit Ende der 2000er Jahre so genannte Anti-Antifa-Listen angelegt und sie auch immer wieder im Internet veröffentlicht. Die Folge war eine Serie von Brandanschlägen mit massiven Sachschäden auf Jugendeinrichtungen Der Falken, auf Autos von Menschen, die sich im Neuköllner Bündnis gegen Rechts engagieren und Morddrohungen an Wohnadressen von Engagierten. Bis heute musste sich keine*r der verantwortlichen Neonazis dafür juristisch verantworten.

Auch das Netzwerk des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) hatte eine Datensammlung von rund 10.000 Personen und Objekten angelegt, die auf einem der Rechner des NSU-Kerntrios in dem Haus in der Frühlingsstraße gefunden wurden. Darunter befanden sich sowohl migrantische als auch jüdische Institutionen, Moscheegemeinden, Synagogen etc., aber auch Politiker*innen wie der im Juni 2019 ermordete Regierungspräsident von Kassel, Walter Lübcke (CDU), und kleine Initiativen und Vereine, die zum Teil für Anschläge ausgespäht wurden. Diese Informationen wurden nach der Selbstenttarnung des NSU in der Brandruine in Zwickau gefunden.

Grundsätzlich sind von Neonazis und der extremen Rechten zusammengestellte Feindeslisten kein neues Phänomen. Schon in den 1990er Jahren war die so genannte Anti-Antifa-Arbeit ein Schwerpunkt, mit der militante Neonazis ihre Gewalt und Bedrohungen von so genannten politischen Gegner*innen koordiniert und gesteuert haben. Ein markantes Beispiel aus den frühen 1990-er Jahren ist die Veröffentlichung des „Einblick“ mit rund 250 Namen und Adressen u.a. von aktiven Gewerkschafter*innen durch die Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front (GdNF). Durch Social Media und das Hosting auf Servern u.a. in Russland haben die so genannten Feindes- oder Todeslisten jedoch einen viel weiteren Verbreitungsgrad. Dadurch steigt die Gefährdung für die Betroffenen ganz erheblich – insbesondere, wenn sie vor Ort sichtbar sind.

www.verband-brg.de/betroffene-der-feindeslisten-handlungsmoeglichkeiten-fur-betroffene/