Prozessbericht
Prozess zur Aufklärung des Sprengstoffanschlags auf das Parteibüro von Die Linke.Liste Oberhausen: Entpolitisierung der Tat und weiterhin unübersichtliche Gefahrenlage für die Betroffenen
Regina Gahbler und Maurice Uhrhan / Opferberatung Rheinland
Der Prozess zum Sprengstoffanschlag auf das Linke Zentrum, dem Parteibüro von Die Linke.Liste Oberhausen, in der Nacht zum 05. Juli 2022 in Oberhausen ist so schnell vorbei, wie er unerwartet begann. Die Anklage der Staatsanwaltschaft Duisburg gegen zwei Tatverdächtige, von denen einer mutmaßlich ehemaliges FAP-Mitglied ist[1], kam für die Betroffenen von Die Linke.Liste Oberhausen so überraschend, wie ihre Festnahme im Februar diesen Jahres. Nur durch Medienberichte erfuhren die Betroffenen knapp einen Monat vor Prozessbeginn von der Anklage gegen zwei sich in Untersuchungshaft befindende Oberhausener*innen. Ein dritter aus Oberhausen stammender Verdächtiger ist in einem externen Prozess u. a. für die Beschaffung die Materialien zum Bau von Sprengsätzen und der Herbeiführung von Sprengstoffexplosionen zu sechseinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Den zwei Angeklagten wurde durch die Staatsanwaltschaft die Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion, den Verstoß gegen das Sprengstoffgesetz sowie Sachbeschädigung zur Last gelegt. Wie aus den Prozesstagen hervorging, scheint es nur durch Zufall, dass in der Nacht im Juli 2022 in der Oberhausener Fußgängerzone kein vorbeikommender Mensch verletzt oder sogar getötet wurde. Die Wucht der Detonation zerstörte die komplette Glasfront und Einrichtung des Parteibüros und richtete ebenso einen großen Sachschaden an den gegenüberliegenden sowie angrenzenden Geschäften an, wodurch insgesamt ein Schaden von 19.000 Euro entstand[2].
Mangelhafte Ermittlungen und die zufällige Festnahme eines Neonazi-Pärchens
Die Ermittlungsbehörden hatten zuvor erfolglos ein Jahr ermittelt. Dabei gingen sie, wie im Prozess deutlich wurde, nicht im Besonderen der Möglichkeit eines politisch rechten Tathintergrunds nach und stellten im Juli 2023 das Ermittlungsverfahren ergebnislos ein. Die Hinweise zu einem möglichen politischen Tatmotiv von Die Linke.Liste Oberhausen bereits direkt nach der Tat wurden dementsprechend nicht in die Ermittlungen einbezogen. Neue Hinweise zum Sprengstoffanschlag fanden die Ermittlungsbehörden nur zufällig innerhalb der IT-Auswertung von Mobiltelefonen in dem oben erwähnten anderen Gerichtsverfahren. Bei der hierauf veranlassten Hausdurchsuchung in der Wohnung eines Neonazi-Pärchens aus Oberhausen im Februar 2024, wurde dieses wegen dringenden Tatverdacht in U-Haft genommen. Beide Angeklagten hatten in ihrer mit Neonazi-Devotionalien ausgestatteten Wohnung Waffen (darunter mindestens eine scharfe Schusswaffe), Unkonventionelle Sprengsätze und Utensilien zum Bombenbau gehortet.
Zur verschleppten Aufklärung des rechtsterroristischen Anschlags kritisiert Yusuf Karaçelik, Vorsitzender der Fraktion Die Linke.Liste, vor Prozessbeginn: „Wir wenden uns gegen den Versuch den Prozess zum Anschlag gegen unser Linkes Zentrum zu entpolitisieren. Es waren Neonazis, die den Bombenanschlag verübt haben. Der Aufklärung rechter Anschläge muss viel mehr Priorität eingeräumt werden!“
Maurice Uhrhan, Prozessbeobachter der Opferberatung Rheinland (OBR), kritisiert die Arbeit der Ermittlungsbehörden: „Wir kritisieren deutlich, dass die Ermittlungsbehörden bei der Sprengstoffexplosionen auf das Parteibüro von Die Linke.Liste Oberhausen nicht im Besonderen einer vermuteten rechten Tatmotivation nachgingen. Für die Betroffenen, ist dies ein fatales Signal: Ihre Hinweise auf ein mögliches rechtes Tatmotiv wurden komplett ignoriert. Es kann hier aus Sicht der Betroffenen deutlich von einem Vertrauensverlust in die Ermittlungsbehörden sowie der Justiz und einem fehlenden Willen zur Aufklärung gesprochen werden.“
Schleppende Informationsvermittlung und Ablehnung der Nebenklage durch das Landgericht Duisburg
Die mangelhafte Arbeit der Ermittlungsbehörden setzte sich in der schleppenden Informationsweitergabe durch das Landgerichts Duisburg fort: Trotz monatelangem und beharrlichem Bemühen erhielt der Anwalt von Die Linke.Liste Oberhausen erst zehn Tage vor Prozessbeginn die rund 1.000-seitige Akte, wodurch eine Nebenklage quasi unmöglich wurde.
„Auch hier ist es wirklich interessant, das ein derartiger Prozess, nachdem über den Anschlag vor zwei Jahren bundesweit berichtet worden war, jetzt so kurzfristig im Sommerloch beginnt. Ein weiterer Zufall, eine wirklich mangelhafte Überlegung oder was steckt dahinter?“ fragt Yusuf Karaçelik (Pressemitteilung von Die Linke.Liste Oberhausen, 14.08.2024).
Der Antrag, den Prozesstermin zu verschieben, wurde vom Gericht ebenso abgelehnt, wie der Antrag auf Nebenklage. Aus rechtlicher Perspektive unterliegt diese Entscheidung dem Ermessensspielraum des Gerichtes, dessen sehr enge Auslegung im geführten Prozess, ist für die Betroffenen jedoch nur schwer als vertretbar anzuerkennen. Vor Prozessbeginn zeigte sich daher für Die Linke.Liste Oberhausen eine Haltung des Gerichts, die erstens eine moralisch und politisch höchst fragwürdige Perspektive auf die juristische Aufklärung der Tat darstellt, zweitens den Betroffenen ihr individuelles Schutzbedürfnis nach der Tat und Festnahme der rechten Täter*innen absprach und drittens ein öffentliches Interesse an der Aufklärung der Tat verneinte. Mitglieder von Die Linke.Liste Oberhausen zusammen mit Unterstützer*innen zeigten aufgrund dessen im Rahmen einer Kundgebung vor dem Duisburger Landgericht unter dem Motto „Rechte Anschläge aufklären - Braunen Sumpf trockenlegen!“ vor den zwei Prozesstagen öffentlich ihren Unmut.
„Aus unserer Perspektive der parteilichen Prozessbeobachtung ist es nicht nachvollziehbar, warum die Informationsweitergabe durch das Landgericht Duisburg an die rechtliche Vertretung der Betroffenen so mangelhaft verlief und warum die Kammer die Nebenklage der Betroffenen Linkspartei abgelehnt hat. Wir sehen eindeutig ein öffentliches Interesse in diesem Fall“, sagte Maurice Uhrhan.
Erster Prozesstag: Entpolitisierung und Verharmlosung der Tat vor Gericht
Im ersten Prozesstag zeigten sich die beiden Angeklagten zwar geständig und beteuerten, ihre rechte Gesinnung geändert zu haben, doch erscheint die von ihnen geschilderte Geschichte zum Tathergang als sehr unglaubwürdig: Die Tat wurde durch den Angeklagten als „Schnapsidee“ und der Sprengsatz als „Böller“ verharmlost. Einen gezielten Anschlag auf das Parteibüro von Die Linke.Liste Oberhausen stritt dieser ab. Bei dem Tathergang soll es sich vielmehr um einen Nächtlichen Spaziergang durch die Innenstadt von Oberhausen gehandelt haben, um einen Ort zum Zünden des Sprengsatzes zu finden. Die Strategie der Verteidigung der beiden nachweislich rechten Täter*innen war bereits am ersten Prozesstag sehr durchschaubar: Der Sprengstoffanschlag sollte als Zufallstat entpolitisiert und die Angeklagten durch die Teilnahme an einem Aussteigerprogramm sowie der Prägung aus der bisherigen Untersuchungshaft von der rechten Szene distanziert werden. Dem steht entgegen, dass bei der Festnahme im Februar 2024 in der Wohnung der Angeklagten zahlreiche neonazistische Devotionalien gefunden wurden sowie dass die Angeklagte zwei weitere, erst durch den Prozess öffentlich gewordene Anschlagsversuche auf das Parteibüro von Die Linke.Liste Oberhausen, in einem den Ermittlungsbehörden vorliegenden Chatverlauf dokumentierten und antisemitisch kommentierten.
„Wir werten den Bombenanschlag auf unser Linkes Zentrum als gezielten Angriff auf unsere politische Arbeit. Die Täter*innen hatten Hitler-Portraits, Hakenkreuz-Fahnen, Bombenbau-Anleitungen und Waffen in ihrer Wohnung. Der Versuch, diesen Angriff als Zufallstat hinzustellen, ist geradezu lachhaft“, empört sich Yusuf Yusuf Karaçelik nach dem ersten Prozesstag.
Maurice Uhrhan, Prozessbeobachter der OBR, kritisiert nach dem ersten Verhandlungstag: „Es zeigte sich deutlich die politisch rechte Haltungen sowie rassistischen und antisemitischen Vernichtungsphantasien der angeklagten Täter*innen. Daher ist es skandalös, dass der wahrscheinlich politisch rechts motivierte Tathintergrund beim Anschlag auf das Parteibüro von Die Linke.Liste Oberhausen bislang nicht berücksichtig – ja wie es scheint außer Acht gelassen werden soll.“
Zweiter Verhandlungstag: ein zerschmetterndes Urteil
Nach nur zwei Verhandlungstagen fällt das Gericht ein zerschmetterndes Urteil: Der Hauptangeklagte, der behauptete den Sprengsatz alleine gezündet zu haben, wurde wegen der Herbeiführung einer Sprengstoff Explosion, den Verstoß gegen das Sprengstoffgesetzt sowie Sachbeschädigung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten sowie seine Mittäterin zu zwei Jahren und vier Monaten verurteilt. Doch wurde der Haftbefehl durch das Gericht gegen Meldeauflagen außer Vollzug gesetzt. Das Gericht stufte in seinen Urteilsspruch beide Angeklagten als zum Tatzeitpunkt gesichert extreme Rechte ein und wertete die gemeinschaftliche Tat als Angriff gegen politische Gegner und damit als Angriff gegen die Demokratie. Dass durch die Explosion in der Oberhausener Fußgängerzogen nur durch Zufall kein Mensch verletzt oder getötet wurde, erhielt vor Gericht nur geringfügige Beachtung.
Das Urteil aus Sicht von Die Linke.Liste Oberhausen
Für die Betroffenen ist die Gefahrenlage seit dem Anschlag unübersichtlich, sie beklagen nur sehr schleppend über den Ermittlungsstand informiert worden zu sein.
„Erst zehn Tage vor dem Prozesstermin erfuhren wir diesen und erhielten Akteneinsicht, unser Antrag auf Nebenklage wurde abgelehnt“, kritisiert Yusuf Karaçelik die Vorgehensweise des Gerichts. „Außerdem stellte sich heraus, dass Täter*innen im Jahr 2020 bereits zweimal erfolglos versucht hatten, Sprengsätze an unseren Räumen anzubringen. Dies ist ebenso gerichtlich dokumentiert, wie dass es möglicherweise Mittäter, mindestens aber Mitwisser*innen gab. Wir fordern, dass dem nachgegangen wird, statt den Deckel drauf zu machen.“
„Die Situation nach dem Urteil gegen die Neonazis, die unsere Räumlichkeiten zerstört und uns gezielt angegriffen haben, ist für uns absolut unbefriedigend“, kritisiert Karaçelik. „Weder wissen wir, ob die zahlreichen Hinweise auf weiter Täter*innen oder Mitwisser*innen sowie weitere Anschläge im Verfahren Gegenstand aktueller Ermittlungen sind, noch ob und wann die Neonazis zum Haftantritt geladen werden. Aktuell laufen sie wie selbstverständlich mehrmals in der Woche an unseren neuen Räumlichkeiten vorbei und starren in die Fenster. Wir lassen uns nicht provozieren und setzen unsere Arbeit für eine solidarische Stadtgesellschaft fort, aber der Zustand, in dem wir uns befinden, erscheint mir symptomatisch für die mangelhafte Bekämpfung des militanten Neonazismus sowie den Opferschutz.“
Kritik am Aufklärungswillen
Auch aus Sicht der Prozessbeobachtung ist der Prozess und das Urteil skandalös: Aufgrund der Behinderung der anwaltlichen Arbeit vor Prozessbeginn sowie Ablehnung der Nebenklage scheint es so, als wollte das Gericht die Sommerpause nutzen und den Prozess schnellstmöglich abschließen. Zudem bleibt die Kritik, dass das Gericht der juristischen Aufklärung des Sprengstoffanschlags auf das Gebäude in der Fußgängerzone von Oberhausen, in dem sich neben dem Büro der Linkspartei auch Wohnungen befinden, das öffentliche Interesse absprach. Damit nutzte das Gericht seinen rechtlichen Ermessenspielraum nicht im Sinne der Betroffenen, um eine Nebenklage zu ermöglichen. Stattdessen legt das Gericht die Schutzbedürfnisse individueller Personen, die einer Nebenklage nach § 395 StPO zugrunde liegen muss, streng rechtlich aus, sodass aufgrund der Tatsache, dass glücklicherweise kein Mensch verletzt oder getötet wurde, hier keine Schutzbedürftigkeit von Verletzten und damit kein öffentliches Interesse anerkannt wurde. Diese konservative Rechtsauslegung hat in diesem Fall dazu geführt, dass die Betroffenen von Die Linke.Liste Oberhausen ihr Recht auf Nebenklage nicht wahrnehmen konnten.
Des Weiteren wurde im Urteil dem Gesinnungswandel der nachweislich neonazistischen Täter*innen Glauben geschenkt, was zu einer weiterhin akuten Gefahrenlage für die Betroffenen führt. Die Strategie der Angeklagten und ihres Verteidiger einer Entpolitisierung und Verharmlosung der Tat sowie deiner Distanzierung der Täter*innen von ihrer rechten Gesinnung, schein insoweit aufgegangen zu sein, dass das Gericht keine Gefährdungslage mehr erkennen möchte. Der nachweislich neonazistische Hintergrund der beiden Täter*innen sowie ein weiterer, erst durch den Prozess öffentlich gewordenen Anschlagsversuch auf das Parteibüro, hätten im Prozess stärker thematisiert und aufgearbeitet werden müssen.
Auch die im Urteil auferlegte Meldeauflage führt dazu, dass sich die Täter*innen regelmäßig den Betroffenen, deren neues Parteibüro neben der lokalen Polizeiwache liegt, mehrmals die Woche nähern werden. So zeigt sich deutlich, dass im Urteil die politische Dimension der Tat - trotz nachweislich strategischer Planung und mehrmaliger Versuche – kein Gewicht erhält sowie dass die Auswirkung der Tat auf Betroffene, welche die damaligen wie auch neuen Parteiräume nutzen oder zur Tatzeit in dessen Umfeld lebten, ignoriert werden.
Die Ablehnung der Nebenklage hat fatale Folgen für die Aufklärung der Tat. Fragen die durch eine Nebenklagevertretung hätten weitestgehend aufgeklärt werden können, sind somit offen geblieben: Gab es neben dem Trio vielleicht weitere Tatbeteiligte? Und gab es weitere, bislang unaufgeklärte Anschläge oder auch eine Anschlagsserie, die den rechten Täter*innen zugerechnet werden können?
Es zeigt sich deutlich: Der politisch rechten Tatmotivation sowie ein mögliches Netzwerk aus weiteren Tatbeteiligten wurde vor Gericht nicht konsequent nachgegangen. Eine Einordnung in einen größeren rechtsterroristischen Zusammenhang blieb aus. Und die Gefahrenlage für die Betroffenen wurde im Urteil nicht berücksichtigt. Mit dem Prozess und dem vorliegenden Urteil ist eine umfassende Aufklärung einer extrem rechten Straftat wie auch der Schutz für die Betroffenen gescheitert.
Neonazis gehen in Revision
Kurz bevor das Urteil rechtskräftig wurde, haben beide Neonazis Revision beantragt. Damit sind sie weiterhin auf freiem Fuß. Ob es einen weiteren Prozess geben wird, ist bisher unbekannt. Eine Abfrage des Rechtsbeistandes der Ratsfraktion ergab, dass beide Neonazis aus Sicht der Stadt Oberhausen über keine bekannte Meldeadresse verfügen, obwohl dies eine Auflage war, den Haftbefehl außer Kraft zu setzen. Der Umgang der Staatsanwaltschaft mit diesem Umstand und ob ihr eine Meldeadresse vorliegt, ist bisher nicht bekannt.
„Wir werden alle politischen und juristischen Mittel nutzen, um gegen die Täter*innen vorzugehen und die wahrscheinlich weitreichenderen militanten neonazistischen Strukturen aufzudecken. Die bisherige vielfältige Unterstützung aus der Zivilgesellschaft hat uns sehr gestärkt. Alle Antifaschist*innen und Betroffene rechter Gewalt sollten sich noch enger vernetzen und aufeinander beziehen, um sich gemeinsam wehren zu können“, so das bisherige Fazit von Karaçelik.
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Den Prozessbericht können sie unter folgenden Link herunterladen: Prozessbericht Prozess zur Aufklärung des Sprengstoffanschlags auf das Parteibüro von Die Linke.Liste Oberhausen.